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Das Facebook Problem

Facebook ist eine der genialsten Ideen der letzten 30 Jahre, und es gibt kaum etwas, das unsere Zeit so prägt wie dieser Dienst.
Mark Zuckerberg hat es verdient, für diese Idee nun einem Milliarden-Unternehmen vorzustehen, dass eine ganze Ära beeinflusst hat und beeinflussen wird. Geschäftsideen haben viele, aber nur wenige können von sich behaupten, dass sie dermaßen Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen auf der ganzen Welt nehmen.
Dass damit auch eine gewisse Macht einhergeht, sollte jedem bewusst sein. Aber sei es ihm gegönnt, es zeigt ja nur wie gut er den Zeitgeist erkannt hat, und die Leute melden sich ja freiwillig an.
Es scheint ebenfalls der Zeitgeist zu sein, der die Leute geradezu in Strömen dazu drängt sich auf Facebook zu exhibitionieren.

Wir brauchen Facebook. Die Welt braucht Facebook. Facebook ist cool und witzig.
Selbst Firmen haben erkannt, dass sie ab einer bestimmten Größe einen Facebook-Account benötigen, denn die Menschen sind dort und wollen dort auch abgeholt werden.
Ungeachtet dessen, bin ich doch ziemlich überrascht, welche Auswüchse diese Facebook-Manie doch mit der Zeit genommen hat. Klar, es war zu erwarten, da jedes System sich irgendwann selbständig in die ein oder andere Richtung entwickelt und entfaltet. Doch ich finde es schon fast erschreckend, mit welcher Geschwindigkeit dies passiert.

Die Leute regen sich darüber auf, wenn es darum geht, dass Nummernschilder auf den Autobahnen vom Staat gescannt werden. Die Menschen laufen Sturm wenn es um Vorratsdatenspeicherung geht oder die Klauseln, die man beim Bezahlen im Supermarkt in puncto Datenverarbeitung mit unterschreibt. Auf Facebook sein ganzes Ich zu entblößen, damit haben allerdings offensichtlich wenige ein Problem. Hier kommt es mir vor, als gelte das Gegenteil: je mehr, desto besser.
Ich gebe selbst zu, dass Facebook irgendwo süchtig macht. Manchmal schaut man zehn Mal auf Tag drauf, was die anderen so treiben, manchmal noch häufiger. Und jedes Mal breitet sich Verwunderung auf meinem Gesicht aus, wenn ich lese was die Menschen aus meinem Umfeld dort an Informationen hinterlassen. Und doch – oder gerade deswegen – schaue ich noch häufiger drauf.
Facebook ist Voyeurismus und dank einiger sehr aktiver Menschen bekommt man dort ordentlich und regelmäßig etwas zu sehen.
Dass potentielle Arbeitgeber dort Bewerber screenen sollte mittlerweile für keinen mehr eine Überraschung sein. Doch man sollte sich bei den ganzen Verknüpfungen mal überlegen, wer einen noch so screent. Sind die „Freunde“ die man auf seinem Facebook-Profil hat wirklich Freunde, oder war es einem am Anfang nur wichtig möglichst viele Kontakte/Freunde zu haben, um zu zeigen, dass man beliebt ist ?
Die meisten Profile haben 250 Freunde oder mehr.
Wisst ihr eigentlich, dass ihr Euer Privatleben mit 250 Leuten teilt, die wiederum auch Leute kennen ? Stört nicht ? Gut.

Ich weiß wann ihr im Urlaub seid, ich weiß wo, ich weiß mit wem. Ich weiß wann ihr an Eurem Handy rumspielt, wenn ihr Euren aktuellen Status postet, und kenne Eure Interessen und Vorlieben. Ich kenne Euer Netzwerk, und sehe Fotos von Euch, die über die neue Gesichtserkennung auf Fotos, quer durch Facebook geht.
Ihr liefert ein akribisch angelegtes Dossier über Euch frei Haus an Facebook und Eure „Freunde“. Stört Euch nicht ? Gut.
Ständig kommt es auf Facebook zu Pannen. Mal werden Privatvideos plötzlich öffentlich und für alle sichtbar, mal lesen die Werbekunden/-industrie von Facebook ein ganzes Jahr lang alle privaten Chats mit.
Stört Euch auch nicht ? Gut.
Wie Pilze aus dem Boden schießen neuerdings zahlreiche nutzlose Apps wie „Zoosk“, „friend.ly“, „Badoo“, etc., die einem von anderen Mitgliedern mehr oder weniger durch dämliche Aktionen wie z.B. „Über Dich wird beim Beauty Contest abgestimmt“ oder „XY hat eine Frage/Abstimmung über Dich gestartet“, aufgezwungen werden.

War man sich bisher sicher, dass man wirklich 250 gute Freunde hat, die es verdienen am eigenen Privatleben teilnehmen zu dürfen, dann sollte man sich sehr gut überlegen, ob man Drittanbieter wie o.g. auch dazu zählt. Denn diesen gibt man vollen Zugriff auf sein Freundesnetzwerk, wenn man diesen beitritt.
Stört Euch auch nicht ? Respekt, ihr seid echt hart im Nehmen.
Eine – vor allem mich persönlich betreffende Angelegenheit – ist aber noch viel gravierender.
Nachdem ich mir das Ganze jetzt mal über Monate angeschaut habe, konnte ich sehr klar erkennen, wer auf Facebook dabei ist, um einfach präsent zu sein, und wer dieses Medium benutzt, um seine Mitmenschen an seinem Leben partizipieren zu lassen.

Seid mir nicht böse, aber habt ihr sie noch alle ? Ich bin froh, wenn ich dazu komme meine ganzen Emails zu lesen, die den ganzen Tag über in meine Mailbox flattern. Was interessieren mich da Eure 30 Posts auf Facebook pro Tag ? Dreißig inhaltsleere, teils verstörende Mitteilungen.
Mein persönliches Highlight sind so Nachrichten wie „hmpf …“.
Und dieser Kommentar wird dann auch noch von 20 Leuten kommentiert. Applaus.
Haben die Leute keine Arbeit zu erledigen ?
Ähnlich beliebt bei mir Posts wie zum Beispiel „endlich wieder Sonne ..“ oder „Juhu, Wochenende ..“.
Einige Leute posten an Ihrer Pinnwand jeden dritten Bild-Zeitungsartikel und kommentieren ihn. Wie überflüssig ist das denn.
Es kann ja jeder posten was er will, und wenn er oder sie denkt, dass die Gemeinschaft dadurch bereichert wird, dann ist das so. Wenn ich jedoch betrachte, dass ich bspw. von 50 Freunden 3 dieser nichtssagende Kommentare pro Tag angezeigt bekomme, dazu 3 Kommentare auf diese Belanglosigkeiten, dann frage ich mich wirklich, ob ich diese Belastung brauche, denn ich habe glücklicherweise eine Arbeitsstelle und den „Suchtfaktor Facebook“ im Hinterkopf behaltend, habe ich wirklich keine Zeit mich da durch die ganze Voyerismus-Show zu klicken, so interessant es sein mag.

Gegen den Trend kann man sich nicht wehren, man kann mit machen oder man lässt es sein. Facebook ist ein nettes Gimmick mit viel Potential und Suchtfaktor, das die tiefsten menschlichen Bedürfnisse anspricht und deswegen auch unheimlich erfolgreich ist.
Aber brauche ich eine Plattform, auf der sich die Leute mittlerweile so zur Schau stellen, dass es nur so kracht ? Da kann man auch nackt vorm Fenster herum tanzen. Wem es gefällt ..
Damit verabschiede ich mich nun wieder aus der Facebook-Welt und bedanke mich recht herzlich für einen Einblick in das Social Life der heutigen Zeit. Wer mich erreichen möchte, kennt meine Telefonnummer. Und die Geschichten, die sich in meinem Leben ereignen, erzähle ich auch lieber bei einem Glas Bier.

Ich sage es seit Jahren, und wir werden sehen wie es sich entwickelt: Anonymität im Internet wird irgendwann Luxus sein. Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen, aber ich fühle mich jetzt schon durch meine Abstinenz auf Facebook exklusiver, als würde ich einen Ferrari fahren.
Und sich im Internet zu vermarkten ist einfach, man sollte lediglich bedenken, dass diese Informationen für immer gespeichert sind, und es gibt keinen Radiergummi auf der Welt, der Daten und Informationen unsichtbar macht, die einmal im weltweiten Web hinterlassen wurden.

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